Im mystischen Ambiente des Alteburgskopfs bei Schotten erlebten rund 70 Gäste einen künstlerisch-kulturellen Mittsommerabend. Sie hörten von Riesen, Mundart und einem schrumpfenden Vulkan.
Der Ort bietet Besonderes. Markante, mit viel sattgrünem Moos bewachsene, basaltige Felsformationen, die die vulkanologische Geschichte des Vogelsbergs anschaulich verkörpern. Der lichte Bestand hoch gewachsener Bäume und viel Gestein, das sich zum Sitzen eignet. Der Alteburgskopf, ein beindruckendes Geotop des Vulkangebirges mit mächtigen Säulen und von Rissen und Klüften durchsetzte Blockhalden, war erneut Schauplatz einer Sommersonnenwendfeier, zu der der Vogelsberger Kultur- und Geschichtsverein eingeladen hatte. Vorsitzende Jutta Kneißel und ihr Team hatten ein buntes Programm zusammengestellt, mit den Schwerpunkten Kunst, Natur, Kultur und Geschichte.
Wie schon bei der Premiere war Künstlerin Tanja Leonhardt aus Eichelsachsen erneut Partnerin des Projekts. Ihr Landart-Installationen, über Äste und Felsen aufgehängte, lange, schmale, grellrote Tücher und bunt bedruckte Fahnen aus Seide passten zum Zauber des Felsmassivs und der mächtigen Bäume.
»Mit so vielen Besuchern hatten wir gar nicht gerechnet«, freute sich Jutta Kneißel, als sich zu Beginn der rund vierstündigen feierlichen Veranstaltung mehr als 70 Personen unter dem Blätterdach eingefanden. Sie nahmen teils auch Platz auf mitgebrachten und aufgestellten Sitzbänken, was die Plauderlaune verstärkte und die nötige Konzentration für die Vorträge schuf.
Wenn es um Vogelsberg und Vulkan geht, darf Wolfgang Eckhardt, Ur-Schottener und seit vielen Jahren in Nidda lebend, nicht fehlen. Er wusste nicht nur viel über die Entstehung des Vogelsbergs vor über 20 Millionen Jahren zu berichten, sondern auch, dass der Viel-Schlot-Vulkan einst wohl um die 1400 Meter hoch gewesen war. In den 15 Millionen Jahren nach seinem Erlöschen nagte die Natur mit Sonne, Frost, Sturm und Regen rund 600 Meter des Gipfelmassivs ab. »Es kann gut sein, dass der Vogelsberg in vielleicht vier Millionen Jahren nur noch 400 Meter hoch ist«, prognostizierte Eckhardt, in der Gewissheit, dass keiner seiner Zuhörer es je wird nachprüfen können.
Der Naturpark- und Vulkanführer hatte auch viel zu erzählen über Geschichte und geologischen Hintergrund des Alteburgskopfs. Am Fuß des Felsmassivs feierte man in früheren Zeiten auch gerne. Vor mehr als 100 Jahren stand zwischen den Felssäulen sogar eine Hütte – das »Schweizerhaus«. An den Wochenenden und Feiertagen kamen die Schottener herauf und feierten hier Feste, etwa am Pfingstdienstag. Damals war der Blick noch nicht durch große Bäume und Buschwerk verstellt. Die Sichtachse reichte bis nach Schotten.
Eckhardt trug auch das Gedicht »Mir sei im Vogelsberg daham« vor. »Das haben wir früher in der Schule bei Frau Reul auswendig gelernt«, ließ er wissen, begleitet von zustimmendem Kopfnicken aus dem Kreis der älteren Zuhörer.
Seinen besonderen Hang zur »Zweisprachlichkeit« stellte Mundartforscher Jürgen Piwowar unter Beweis. Der ehemalige Lehrer, der schon mehrere Bücher über die Mundart im Vogelsberg veröffentlichte, erzählte Geschichten und Sagen, darunter vom Schmid von Herchenhain, der Verlockungen des Teufels widerstand und keine Angst vor dem Belzebub zeigte. Piwowar gab in seiner humorig-fordernden Art Einblick in die germanische und nordische Mytholgie, auch eine Abhandlung zum Glauberger Keltenfürsten fehlte nicht in seinen Geschichten um Naturgewalten, Riesen vergangener Zeiten oder verehrte Götter.
Tanja Leonhardt machte die Natur zum Schwerpunkt ihrer Lyriklesung. Als das Licht am längsten Tag des Jahres allmählich schwächer wurde, begleitete eine Lichtinszenierung die Besucher in die Dämmerung und die beginnende Nacht.
Für die passende musikalische Untermalung sorgte das Duo »Quest-Wind«. Christian Tewordt und seine Partnerin Johanna Wildhack griffen auf »Disco-Stücke« aus dem England des 18. Jahrhunderts zurück, die sie mit Dudelsack und Violine zelebrierten.
Text von Stefan Weil
Kreis Anzeiger 23. Juni 2023