Der Schottener Ablassbrief von 1330
Die Geschichte des Schottener Ablassbriefes
Der Ablassbrief wurde vor 691 Jahren am 3. Februar 1330 von Papst Johannes XXII in Avignon ausgestellt und von einer kleinen Gruppe Schottener Bürger auf mühsamem Weg zu Fuß und mit Pferden aus Südfrankreich geholt.
Wenn auch der Ablass und der damit verbundene Handel und Geldtransfer alles andere als im Sinne der heiligen Schriften war und ja schließlich auch zur Reformation und den 95 Thesen von Martin Luther führte, so ist dieses Zeitdokument in meinen Augen eine der wichtigsten Urkunden in der Schottener Geschichte!! Ein Blick auf das Ausstellungsdatum ‐ 3. Februar 1330 in Avignon ‐ führt uns in die Epoche der „Gegenpäpste zu Rom“, aber auch in eine Zeit, als Ablass gang und gebe war. In diesen Jahren war Schotten zweigeteilt, nachdem 1323 Konrad von Trimberg den Teil mit der Alteburg und Gottfried von Epstein das Jagdschloss geerbt hatte. Vermutlich geht sogar die Aufteilung Schottens in 2 Pfarrämter mit 2 Kirchen mit dem Mühlgraben als Grenze zurück. Es war ein kleine, einige hundert Einwohner zählende Ansiedlung – Ackerbau auf dem kargen Boden und Viehhandel waren die wenigen Einkommen.
Natürlich musste der Ablassbrief auch entsprechend teuer bezahlt werden. Doch durch diese päpstliche Urkunde wurde Schotten zu einem Wallfahrtsort und Scharen von Pilgern strömten an 12 ausgewählten Tagen in die Kirche des Heiligen Michael und eine zweite Kapelle, um gegen entsprechende Bezahlung Ablass von ihren Sünden zu erhalten! Die Einnahmen von den Spenden der Pilger waren es aber auch, die Erweiterungen der Kirche ermöglichten. Auf der anderen Seite entstanden um die Kirche herum Gasthäuser und Geschäfte – Schotten wurde immer größer und erhielt schließlich 1354 die Stadtrechte. Somit hatte sich der weite Weg nach Avignon und auch der Kaufpreis des Ablassbriefes in mehrfacher Weise gelohnt.
So gesehen war es eine „Entwicklungshilfe für den Ort“ als sich 1329 Schottener Bürger zusammen mit dem damaligen Gemeindepfarrer aufmachten, bis nach Avignon zu Papst Johannes dem XXII pilgerten und diesen Brief für 40 Tage Ablass holten. Was mag das für eine beschwerliche Reise gewesen sein, wie lange und womit war man unterwegs? Wieviel Geld hatte man für den Kauf dabei, wo hatte man es versteckt? Doch es war ‐ wie die weitere Geschichte zeigt ‐ gut angelegtes Geld, das die Schottener Pilger in das weit entfernte Avignon brachten, um beim Papst den Brief zu erwerben und auch den 13 Kardinälen ihren Obolus für das Hergeben ihres Siegels zu bezahlen.
Auf jeden Fall bewirkte dieser Ablassbrief, dass nun das „kleine Dorf ad scotis in Buchonia“ – urkundlich erstmals 778 erwähnt ‐ zum Wallfahrtsort wurde und zahlreiche Pilger anlockte. Sicher ist auch, dass sie neben dem „Bußgeld“ zum Erreichen eines Ablasses der auferlegten „Sündenstrafen“ – nicht der Sünden – auch noch einiges an Geld für Unterkunft und Verpflegung zurückließen. Also Geld, mit dem man dann wiederum die zunächst viel kleinere Kirche zu ihrer heutigen Größe ausbaute. Aber auch neue Gasthäuser entstanden und der Handel blühte auf.
1351 wurde der Inhalt des „Avignon‐Briefes“ noch einmal durch den „Kleinen Ablassbrief“ erneuert. So war es eigentlich eine logische Folge, dass der immer weiter aufstrebende Wallfahrtsort 1354 die Stadtrechte erhielt und damit auch das Recht zur Abhaltung von Märkten, zum Bau einer Stadtmauer mit Stadttoren, dem Ansiedeln von Zünften und einigen anderen Privilegien mehr.
Leider hatte das Aufblühen der jungen Stadt auch negative Begleiterscheinungen, vor allem in der Form des Raubrittertums, das von den Epsteinern im Schloss ausging. Der Zustrom an Pilgern ging zurück – ja es kam sogar soweit, dass im Jahr 1382 ein 2.500 Mann starkes Heer des Rheinischen Städtebundes einen Angriff auf Schotten unternahm und den Sitz der Raubritter im Schloss zerstörte.
Nur durch die eidesstattliche Verpflichtung aller Schottener Bürger in einer „Unterwerfungsurkunde“, keine Raubritter mehr in ihrer Stadt zu dulden und die Kirche nicht als Festungskirche zu benutzen, konnte das „Schleifen“ unserer Liebfrauenkirche damals verhindert werden.
Restauration des Ablassbriefes
Soviel zum geschichtlichen Hintergrund – nun noch ein paar Informationen zu der „Geschichte dieses Ablassbriefes“, der ja nur ein Faksimile – eine Kopie ist: Der repräsentative Ablassbrief ist ca. 65 cm breit und ca. 48 cm hoch. Den Anfang bildet eine farbig angelegte Zierinitiale, die das Antlitz Christus mit erhobenen blutenden Händen, umgeben von Blatt‐ und Rankenwerk zeigt. Gemalt wurde mit den damals geläufigen Pigmentfarben Kupfergrün oder Malachit, Zinnoberrot oder Mennige und dem violetten pflanzlichen Farbstoff Folium. Der Text des Ablassbriefes wurde in 23 Zeilen auf der geschabten Fleischseite eines Ziegenpergaments mit brauner Dornen‐Tinte geschrieben. Die Schrift ist unterschiedlich kräftig – je nachdem wieviel Tinte die Feder gerade hergegeben hat. Durch das häufige Falten und das nicht immer fachgerechte Aufbewahren entstanden im Laufe der Jahrhunderte ‐ neben dem Alterungsprozess des Pergamentes selber ‐ Risse, aber auch Schmutzablagerungen wie Staub oder Fliegenkot. Unsachgemäße Versuche, die Risse auf der Rückseite mit Tesafilm zu festigen, taten ihr übriges.
Viele Jahre lang lagerte die Urkunde in der „Bibliotheca Schottensis“ im Zimmer des Hauptturmes, ehe er mit ihr im Zentralarchiv der EKHN in Darmstadt eingelagert wurde. Erst im Zusammenhang mit der 1.200 Jahrfeier der Stadt wurde der Brief 1978 zusammen mit den 2 Flügeln des restaurierten Alters im Bonhoeffer‐Haus ausgestellt. Danach schlummerte er viele Jahre zusammengefaltet in einer Pappschachtel im Tresor der Schottener Sparkasse.
Erst nachdem die Stiftung Liebfrauenkirche das schon fertig geplante Projekt „Neue Kirchenfenster“ nach Entwürfen von Hans Stock wegen zu großem Widerstand von Denkmalschutz und „Kunstexperten der Landeskirche“ auf’s Eis legen musste, geriet der Ablassbrief in unser Blickfeld. Entsprechend den Zielen in der Satzung, die Kirche und ihre Kunstschätze zu bewahren, lag es auf der Hand, den in Vergessenheit geratenen Ablassbrief mit einzubeziehen und zu restaurieren.
Mit Barbara Hassel ‐ einer Diplom Restauratorin aus Frankfurt ‐ machte Ellen Wegner eine wirklich fachkundige und wissenschaftlich sehr gut arbeitende Spezialistin ausfindig, die im Mai 2013 nach Schotten kam und sich den Brief ansah. Nach Gutachten und Kostenvoranschlag wurde ihr schließlich im November des vergangenen Jahres die beiden Briefe übergeben und sie machte sich an die langwierige Arbeit.
Nach der Erstreinigung musste das trockene und spröde gewordene Pergament schrittweise befeuchtet werden, ehe es nach langwierigen Reparaturen der Risse und schadhaften Stellen in einer Spannvorrichtung 2 Monate lang getrocknet wurde. Danach erfolgten hochwertige Digitalaufnahmen, die zugleich die Grundlage für die Herstellung dieser Reproduktion waren. Ein Druck auf Pergament schied aus: Original Pergament ist nicht nur sehr teuer, sondern die Farbnuancen des Originals, die ja mit digitalisiert wurden, stimmen nicht mit den anderen Konturen des „neuen Pergamentes“ überein.
Aus diesem Grund erfolgte der Druck bei einer dafür besonders spezialisierten Firma in Köln auf ein besonders beschichtetes Baumwollpapier. Die Qualität des so entstandenen Faksimiles ist von der Optik fast besser als das restaurierte Original, das inzwischen nicht mehr gefaltet in einem Pappkarton, sondern fachgerecht unter besonderen klimatischen Bedingungen wieder im Zentralarchiv der Kirche in Darmstadt eingelagert wurde.
Mit sehr viel Mühe wurden von Frau Hassel und einer bei ihr zurzeit arbeitenden Praktikantin die Siegel und die zum Anhängen benötigten Schnüre hergestellt. Waren diese im Original noch aus Hanffäden, was man heute nicht mehr bekommt, so ersetzte man sie durch mühsam geflochtene dünne Baumwollfäden. Die 6 noch erhaltenen Siegel wurden mit Hilfe eines Silikon‐Abguss‐Materials aus der Zahntechnik reproduziert, mit einer Wachs‐Harzmischung gegossen und danach mit Ruß und Acrylfarben auf alt getrimmt.
Wer noch mehr an Details wissen will, darf sich gerne ein Exemplar der „ARCHIVnachrichten“ mitnehmen. In dieser Fachzeitschrift ist nämlich ein Bericht über unseren Ablassbrief und seine Restaurierung bei Frau Hassel enthalten.
Neben der Präsentation des Ablassbriefes, zu dessen Aufhängung uns Frau Hassel behilflich war, findet man eine von mir auf DIN A3 Pergament‐Imitat gedruckte Übersetzung. Der Originaltext ist in „Mittelalterlichem Latein“ geschrieben mit Dr. Vaal von der Uni Marburg und Dr. Adler im Hess. Staatsarchiv fanden wir zwei Experten, die die Übersetzung anfertigten. (Texte Erwin Mengel – Pfingsten 2014)
Die Liebfrauenkirche in Schotten
Schon auf alten Stichen von Schotten fällt die dominant in der Stadtmitte gelegene Kirche auf. Die evangelische Liebfrauenkirche ‐ auch „Dom des Vogelsbergs“ genannt ‐ wurde in der Zeit zwischen 1320 und 1380 erbaut. Zu einer Zeit, in der die von iro‐schottischen Prinzessinnen gegründete Siedlung „ad scotis in buchonia“ [bei den Schotten im Buchenland], wie es in der ersten urkundlichen Erwähnung aus dem Jahr 778 heißt, deutlich weniger Bewohner als heute hatte. Von daher ist die Kirche „Unserer lieben Frau“ eigentlich erheblich überdimensioniert gewesen.
In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass die Verleihung der Stadtrechte durch Kaiser Karl IV. in den Jahren 1354 und 1356 erfolgte und die Kirche von Anfang an als Wallfahrtskirche für eine größere Besucherzahl ausgelegt war. Belegt ist dies durch die beiden Ablassbriefe aus den Jahren 1330 und 1351. Seit 1330 strömten viele Wallfahrer nach Schotten und brachten Geld mit, das den weiteren Ausbau der Kirche ermöglichte.
Bauhistorisch ist die heutige Kirche aus mehreren zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Baukörpern zusammengesetzt. Ausgang war eine quadratische Hallenkirche im östlichen Bereich mit einem Chorraum. Über der Vierung der Halle gab es bereits den mächtigen 54 m hohen leicht nach Süd‐Westen geneigten Turm. Wahrscheinlich wurde damals auch eine bereits vorhandeneromanische Kirche in den Neubau mit einbezogen.
Eigentlich wollte man die Kirche, dem Vorbild der Marburger Elisabethkirche und der Kirche von Friedberg entsprechend, noch weiter ausbauen und dabei ein Turmpaar im Westen errichten. Durch das Unwesen Schottener Raubritter ausgelöst, gingen die Wallfahrten zurück und der Geldstrom versiegte. 1382 wurde Schotten vom rheinischen Städtebund erobert, was auch das Ende der Bauperiode bedeutete. Man versah den wuchtigen Westbau mit einem Querdach und schloss ihn an den alten quadratischen Kirchenbau an. Die ursprünglich groß geplanten zwei Westtürme kamen nicht mehr über das untere Geschoss hinaus. Um 1400 dürfte der Bau seine bis heute sichtbare Form erhalten haben. (Erwin Mengel)