Ausflug nach Ziegenhain, der Stadt der Konfirmation und der Gedenkstätte Trutzhain (2022)

Ein wesentliches Ziel des Vogelsberger Kultur- und Geschichtsvereins ist es, die vielfach unbekannten Stätten in der Umgebung kennenzulernen. Diesmal ging die Fahrt zu der ehemaligen Wasserfestung Ziegenhain und zu der Gedenkstätte Trutzhain.

 Auf dem großen Paradeplatz erwartete Kunigunde von Lüder, die Frau des ersten Festungskommandanten der Festung Ziegenhain ihre Besucher aus dem Vogelsberg. Sie blickte zurück in die Zeit der Reformation und beschrieb wie Landgraf Philipp Ziegenhain aus strategischen Gründen zwischen den Städten Kassel und Gießen 1537 zu einer nahezu uneinnehmbaren Wasserfestung ausbauen ließ. Sie war von zwei Mauern und einem 45 Meter breiten und 3,5 Meter tiefen Graben umgeben und wurde selbst während des 30jährigen Krieges nicht eingenommen – daher Sprichwort: So fest wie Ziegenhain.

Kunigunde von Lüder

Das Landgrafenschloss und das ehemalige Kornhaus sind seit 1842 eine Strafanstalt für Jugendliche und Schwerverbrecher und können deshalb nur von außen besichtigt werden.

Stolz zeigt Frau von Lüder uns ihr ehemaliges Wohnhaus, das im Gegensatz zu allen anderen Häusern einen eigenen Brunnen hatte. Heute ist an der Wand ein Glockenspiel angebracht, das lauter bekannte Volkslieder spielt.

Ehemaliges Wohnhaus der Kunigunde von Lüder

Der Festungskommandant war ein großer Reformer. Er musste im Zuge der Reformation vier große Spitäler kontrollieren. Um seine Reisezeit zu minimieren verfasste er eine Handlungsanweisung mit 50 Punkten, nach der sich alle zu richten hatten, wobei dem regelmäßigen Gebet ein großer Stellenwert eingeräumt wurde. Die Handlungsanweisung wurde von anderen Spitälern übernommen und führte später zur Gründung des Landeswohlfahrtverbandes Hessen, wie dieser auf seiner Feierstunde zum 475-jährigen Jubiläum stolz vermeldete.

In der schlicht gehaltenen Garnisonskirche lernten die Besucher dann das nächste bemerkenswerte historische Ereignis kennen: Ziegenhain heißt auch Konfirmationsstadt. Die Konfirmation entstand aus einem Kompromiss mit der Bewegung der Täufer, einer radikalen Gruppe von Protestanten. Diese wollten die Taufe nur für Erwachsene zulassen, da Kinder sich noch nicht frei entscheiden könnten. Sie gaben sich damit zufrieden, dass Kinder systematisch im Katechismus unterrichtet werden sollten, ehe man sie konfirmierte und damit zum Abendmahl zuließ. Es war die Geburtsstunde der Konfirmation, die heute weltweit von evangelischen Christen gefeiert wird.

Am großen Brunnen mitten in der ehemaligen Festung verabschiedet sich Frau von Lüder, nicht ohne vorher noch darauf hinzuweisen, dass es sich hier nicht um Grundwasser handelt, sondern um eine sogenannte Wasserkunst, einer Druckleitung, mit der Wasser von einer Mühle in die Festung gepumpt wurde. Die Zuleitung unterlag höchster Geheimhaltung, denn wenn sie abgeschnitten wäre, könnte in der Festung bei einer Belagerung niemand überleben.

Wallfahrtskirche in Trutzheim

Ums Überleben ging es dann im zweiten Höhepunkt dieses bemerkenswerten Ausflugs. Vor den Toren des Stadt Ziegenhain befindet sich die wenig bekannte Gedenkstätte Trutzhain. Sie erinnert an das STALAG IX A (Stammlager). Von 1939 bis 1945 war es das größte Kriegsgefangenenlager in Hessen. Zunächst wurden hier Polen und Franzosen interniert, darunter der spätere französische Staatspräsident Francois Mitterand. Dazu kamen Belgier, Briten, Serben, Italiener und Amerikaner. Nach 1941 trafen mehrere tausend sowjetische Kriegsgefangene ein, die in einem separaten Bereich unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten wurden.

Die ehemalige Lagerstraße und die von den Gefangenen gebauten Baracken sind noch erhalten und werden heute von Nachfahren der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen bewohnt, die nach dem 2. Weltkrieg aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland vertrieben wurden. Vorher gab es noch eine Zwischennutzung für sogenannte Displaced Persons, Juden vorwiegend aus Polen, die den Holocaust überlebt hatten und hier auf die Ausreise nach Palästina, Kanada oder die USA warteten.

Aus Holz geschnitzte Madonna

Nach dem Gang durch die Lagerstraße und einem Besuch in der 1964/65 erbauten Zeltkirche Maria Hilf, der einzigen Wallfahrtskirche in Nordhessen mit einer von den Vertriebenen nach historischem Vorbild nachgeschnitzten Marienfigur kehrte die Gruppe in die Begegnungsstätte zurück. Dort befindet sich ein kleines Museum, das die Stationen der Gedenkstätte nachzeichnet. Und die Besucher sahen noch einen Film mit Erinnerungen ehemaliger Gefangener über deren schreckliche Zeit der Internierung. Tief bewegt und mit der Hoffnung auf friedliche Zeiten wird die Heimreise angetreten.