Ausflug nach Friedberg und Ockstadt (2022)

Kaum in Friedberg angekommen wich der strömende Regen und die gut gelaunte Besuchergruppe aus Schotten hatte den schönsten Sonnenschein. Begleitet von dem äußerst fachkundigen und gewitzten Stadtführer Rainer Götze ging es zuerst in die evangelische Stadtkirche „Unserer Lieben Frau“.  Zu Beginn des 13. Jahrhunderts hatten die Friedberger eine Technik entwickelt Tuch zu bleichen. Sie exportierten das „Friedberger Tuch“ in alle Welt. Als Ausdruck des Glaubens wie des Bürgerstolzes wurde eine Pfarrkirche von den Ausmaßen einer Kathedrale für die gesamte Bürgerschaft geplant. Das waren damals 3000 Frauen, Männer und Kinder. So wurde über einem romanischen Vorgängerbau (aus dem noch Altar und Taufstein stammen) als ein geistliches wie bürgerliches Symbol die gotische Hallenkirche errichtet. Seit der Reformation in Friedberg (1528 – 1552) ist die Stadtkirche evangelisch.

Kirchenfenster in der Friedberger Stadtkirche

Die Besucher waren begeistert von der Harmonie des Raumes – der einheitliche Gesamteindruck der Halle entsteht durch die gleiche Höhe von Mittel- und Seitenschiffen und dem Abstand der großen Säulen. Vor allem aber fasziniert das Licht in der Kirche. Die durchgängig farbigen Fenster verwandeln das natürliche Licht in eine Pracht leuchtenden Scheins, der nach mittelalterlichem Verständnis das Licht im Reich Gottes vorwegnimmt. Die ältesten noch erhaltenen Fenster im Chorraum stammen aus dem Jahr 1480, sie wurden im Krieg ausgelagert und wurden dadurch nicht zerstört. Die meisten Fenster wurden von Adeligen oder reichen Bürgern gestiftet. Wobei die neuesten zwischen 1960 und 1994 entstanden.

"Moderne" Darstellung des Abendmahls in der Stadtkirche von Friedberg

Danach ging es in die ehemalige Judengasse, die überraschend breit ist. Die Friedberger Juden waren sehr wohlhabend und hatten alle Einrichtungen für das tägliche Leben, wie Schule, Krankenhaus und viele Geschäfte. Der Reichtum zeigt sich dann auch in der Mikwe, dem ehemaligen Ritualbad. Es ist die größte in Europa. Die gleichen Handwerker, die die Kirche gebaut hatten, waren auch hier tätig, wie man an den schön verzierten Säulen aus dem gleichen roten Sandstein wie in der Kirche sieht. Viele hohe Stufen führen zum Grundwasser in der Tiefe, das Sommer wie Winter nie mehr als 6  Grad Wassertemperatur hat. Kein Wunder, dass die Gemeinde im 19. Jahrhundert beschloss neben der ehemaligen Synagoge eine neue Mikwe zu bauen, die mit einem Bach gespeist wurde. Während die Synagoge von den Nationalsozialisten zerstört wurde, blieb die Mikwe durch den Hinweis erhalten, dass sie ja von christlichen Handwerkern errichtet worden war. Heute gibt es in Friedberg keine jüdische Gemeinde mehr – am Platz der Synagoge erinnert eine Gedenktafel an die traurige Geschichte des ehemals so blühenden Gemeinwesens.

Viele steile Stufen führen zum Grundwasser in der Tiefe

Der Weg führte weiter zur Burganlage, der größten in Deutschland. Im ehemaligen Herrenhaus „residiert“ heute das Finanzamt. Es ist ebenso wenig zu besichtigen, wie die noch gut erhaltenen ehemaligen Burgmannenhäuser, in denen der niedere Adel und die Offiziere der Wache wohnten. Die Gruppe verzichtet auf die Besteigung des Adolfsturms mit seinem schönen Rundumblick. Stattdessen machte sie noch einen Abstecher zu einem kleinen ehemaligen Römer Bad, dessen Überreste beim Bau des Gymnasiums gefunden und dort im Keller konserviert wurden.

Ehemaliges Römer Bad

Nach der Mittagspause gab es dann ein Kontrastprogramm in Ockstadt. Auch dort befindet sich eine überraschend große und sehr helle Kirche, die katholische Pfarrkirche St. Jakobus. Hermann Kosch informierte die Schottener über Geschichte und Interieur der Pfarrkirche. Sie wurde 1909/10 über einer alten Kirche aus den Jahren 1706/07 errichtet und bietet 500 Personen Platz. Von der Reformation wurde Ockstadt als einzige Gemeinde in der Wetterau kaum berührt. Heute dient St. Jacobus katholischen wie evangelischen Christen als Ort der Besinnung und Andacht.

"Klassische" Darstellung des Abendmahls in der Ockstädter Pfarrkirche St. Jakobus

Von dem reichen kirchlichen und kulturellen Erbe zeugen barocke Stilelemente, Charakteristika des Rokokos wie des Jugendstils. Sie sind hier zu einer Synthese vereint. Den Ausdruck unserer Zeit spiegelt der Volksaltar. Hier wählt der Bildhauer einen weißen Marmorblock als farblichen Kontrast zu den grauen und roten Säulenaltären. Hinein arbeitet er Attribute, wie eine aufgeklappte Jacobsmuschel, die den Patron der Kirche charakterisieren und den Kirschbaum im Verlauf der vier Jahreszeiten als wirtschaftliches Wahrzeichen von Ockstadt.

Vorderseite des Volksaltars in der Ockstädter Pfarrkirche St. Jakobus mit Jakobsmuschel und Kirschbaumblüte

Das älteste und wertvollste Kunstwerk der Kirche ist die Beweinung Christi am Aufgang zur Orgelempore. Holztafeln mit den Namen der 35 gefallenen Ockstädter Bürger des Ersten Weltkriegs umgeben die Grablegungsgruppe.

Die Beweinung Chrisi

Ein Meisterwerk der Architektur stellt auch die 1978 eingebaute Orgel dar. Farblich abgestimmt  präsentiert sich der Prospekt als Pendent zum Hochaltar.

Orgel

Verborgen hinter einer verschiebbaren Wand in einem Seitenaltar befinden sich die vielen Reliquien der Kirche, die offensichtlich mal eine Station des Jakobswegs vom Eichsfeld über Le Puy nach Santiago war.

Reliquien erinnern an die ehemalige Station des Jacobswegs

Von der Kirche führt ein kurzer Weg zu der wehrhaften Burg, von der noch zwei dicke Wachttürme erhalten sind. Noch immer wird die Burg von der Familie von Franckenstein bewohnt, deren Ahnherr Hans von Franckenstein 1522 die Herrschaft von Ockstadt übernahm und bis zum heutigen Tage im Besitzer der Burg, größerer Stückländereien und Waldungen in der Gemarkung Ockstadt ist. 

Wachturm der ehemaligen Burg

Der Beginn der von Franckenstein’schen Herrschaft fiel in die stürmisch bewegte Zeit der religiös- politischen Auseinandersetzungen. Hans von Franckenstein war kein Freund der religiösen Neuerungen. So blieb Ockstadt katholisch.

Nach einer Stippvisite in die private Parkanlage verabschiedet sich die Gruppe von dem sympathischen ortskundigen Führer.