Krise als Chance (Oktober 2024)

Schotten (em). „Sous le ciel de Paris“ ist nicht nur ein hinreißendes Chanson, mit der Erinnerung an Edith Piaf verbunden. Katharina Pipp, am Klavier begleitet von Thomas Appel, sang es zu Beginn des literarisch-musikalischen Abends im Dietrich Bonhoeffer-Haus und stimmte damit suggestiv auf das Leben der ersten vorgestellten Frau, George Sand, ein. „Krise als Chance: Vier Frauen – Vier Länder – vier Jahrhunderte“ hatten Sylvia Knoth und Elfriede Maresch diesmal als Thema gewählt.

Die Verbindung von biografischen Skizzen und Live Musik ist schon eine herbstliche Tradition des Vogelsberger Kultur- und Geschichtsvereins geworden. Der 2. Vorsitzende des Vereins, Wilhelm Lückel, konnte 60 Interessierte begrüßen und zugleich dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ danken, das diesen Abend förderte.  

Gesellschaftskritische Autorin und Journalistin, Salondame, selbstbewusste Frau mit einer ganzen Reihe von Liebhabern: George Sand (1804 – 1876) wurde als erste von Sylvia Knoth vorgestellt. Ein Künstlername – eigentlich hieß sie Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil. Aufgewachsen in einer begüterten und skandalumwitterten Adelsfamilie, war sie den Zwängen ausgesetzt, denen damals Mädchen „aus gutem Hause“ unterlagen. Sie brach früh aus, schrieb für Zeitungen, verfasste erfolgreiche Romane. Später war sie Mittelpunkt eines großen Freundeskreises von Künstlern, Autoren, Politikern, Anhängerin der französischen Februarrevolution 1848. In ihrem Roman „Consuela“ zeichnete sie eine klassenlose Gesellschaft mit gleichen Rechten für Männer und Frauen. Sylvia Knoth war deutlich die Sympathie für ihre eigenwillige Heldin anzumerken.

 

Sylvia Knoth

Intelligent, weit gereist, aus einer privilegierten Familie stammend, war Florence Nightingale (1802-1910) schwer depressiv: die vitale junge Frau suchte nach einer Lebensaufgabe jenseits der Konventionen. Im Krimkrieg wuchs sie über sich hinaus. Gegen den Widerstand der Militärhierarchie stellte sie im verwahrlosten Großlazarett hygienische Verhältnisse, gute Verpflegung, notwendige pflegerische Versorgung her. Als sie 1856 nach Kriegsende nach England zurückkam, war ihre Gesundheit ruiniert. Aber gewissermaßen „vom Sofa aus“ gelang ihr die Professionalisierung des Pflegeberufs, die Reform vieler Hospitäler, die Einführung von Statistik in der Medizin. Allerdings: die sanfte „Dame mit der Lampe“, wie ihre Zeitgenossen sie darstellten, war sie nicht. Maresch zeichnete auch ihre Schroffheit und Dominanz – Kehrseite einer starken Persönlichkeit.

 

Elfriede Maresch

Intelligent, weit gereist, aus einer privilegierten Familie stammend, war Florence Nightingale (1802-1910) schwer depressiv: die vitale junge Frau suchte nach einer Lebensaufgabe jenseits der Konventionen. Im Krimkrieg wuchs sie über sich hinaus. Gegen den Widerstand der Militärhierarchie stellte sie im verwahrlosten Großlazarett hygienische Verhältnisse, gute Verpflegung, notwendige pflegerische Versorgung her. Als sie 1856 nach Kriegsende nach England zurückkam, war ihre Gesundheit ruiniert. Aber gewissermaßen „vom Sofa aus“ gelang ihr die Professionalisierung des Pflegeberufs, die Reform vieler Hospitäler, die Einführung von Statistik in der Medizin. Allerdings: die sanfte „Dame mit der Lampe“, wie ihre Zeitgenossen sie darstellten, war sie nicht. Maresch zeichnete auch ihre Schroffheit und Dominanz – Kehrseite einer starken Persönlichkeit.

 

Katharina Pipp wird von Thomas Appel am Klavier begleitet

Höhen und Tiefen prägten auch das Leben Hannah Arendts, vom Sylvia Knoth vorgestellt. Talentierte Philosophiestudentin, die bereits mit 22 Jahren promovierte, Im NS-Staat Verfolgte, sozial engagierte Emigrantin in Paris, im Lager Gurs von Abschiebung nach Deutschland bedroht, in den USA Publizistin und Hochschullehrerin. Ihre Zivilcourage, die Unabhängigkeit ihres Denkens verwickelte sie oft in Kontroversen, etwa nach ihrem Bericht über den Eichmannprozess in Jerusalem. Kritik an der Benachteiligung von Farbigen und Latinos in den USA, am Vietnamkrieg, Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – wohl gilt ihr Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ als ihr Hauptwerk, aber vielleicht spiegelt ihr 1958 erschienenes Werk „Vita activa – Vom tätigen Leben“ weit  mehr von der Persönlichkeit dieser klugen und konstruktiv-neugierigen Frau.

Thomas Appel – Sylvia Knoth – Katharina Pipp – Elfriede Maresch

Unverzichtbare Musik

Knoth und Maresch sind geschickt darin, interessante Persönlichkeiten mit Licht und Schatten auszuwählen. Doch die Musik dabei ist unverzichtbar: so beschwor Thomas Appel eindringliches Spiel des Regentropfen-Préludes den verunglückten Mallorca-Aufenthalt von Sand und ihrem bereits schwerkranken Geliebten Frédéric Chopin herauf. Brecht-Weills „Haifisch“ zwischen Bänkelsong und Jazz traf das Lebensgefühl der roaring twenties und damit das der jungen Hannah Arendt. Und Katharina Pipp sang das Pippi Langstrumpf-Lied so kess, dass das Publikum „Zugabe!“ rief und eine Wiederholung verlangte.

Artikel erschien am 17. Oktober 2024 im Kreis Anzeiger für Wetterau und Vogelsberg