Edgar M. Böhlke und Claudio Vilardo lesen „Israel – Eine Korrespondenz“

„Wie kommen wir da raus?“

In der Lesung „Israel – Eine Korrespondenz“ wurde in Briefen zwischen dem iranischstämmigen Navid Kermani und dem israelischen Bürger Natan Sznaider, jetzt gelesen von Edgar M. Böhlke und Claudio Vilardo, die ganze erdrückende Gewaltspirale des Israel-Palästina-Konfliktes deutlich geworden, vertieft durch das Klarinettenspiel von Markus Rölz.

Jutta Kneißel begrüßt die Gäste

Bei der Begrüßung der großen Zuhörergruppe im Heimatmuseum konnte die Vorsitzende Dr. Jutta Kneißel auf die Unterstützung durch „Demokratie leben!“ hinweisen. „Der eine von uns wachte am 7. Oktober 2023 in einer anderen Welt auf, entsetzt und verzweifelt sind schwache Worte…Der andere erkannte aus der Ferne den Schrecken wieder, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten…über den Nahen Osten gekommen war“. So beginnt das gleichnamige Buch. Edgar Böhlke übernahm die Rolle des Soziologieprofessors und Ruheständlers Natan Sznaider, der an der Hochschule Tel Aviv lehrte und in seiner alltäglichen Lebenswelt den Schrecken der Attentate genauso vor Augen hat wie die eskalierende Politik der Hardliner. Der Publizist und Orientalist Navid Kermani setzt sich mit menschlichen Grenzerfahrungen, aber auch mit dem Koran und der islamischen Mystik auseinander. Er hat die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft.

Sznaider und Kermani lernten sich 2002 in Israel kennen, als sie, jeder aus seiner Sicht und zugleich in freundschaftlicher Auseinandersetzung, über den Nahost-Konflikt schrieben und veröffentlichten. Man muss sich das Erschreckende vor Augen halten: als der Briefdialog 2023 kurz nach dem Hamas-Attentat als Buch erschien, hat sich nichts am Grundkonflikt geändert. Der Gewaltrausch des Attentats, die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen der israelischen Armee in den Palästinensergebieten haben eine neue Eskalationsstufe erreicht. Am Anfang sprachen Böhlke und Vilardo das Entsetzen Sznaiders und Kermanis nach dem 7. Oktober aus: „Wir suchten nach Worten und empfanden beide das Schweigen, ein Israeli und ein Deutscher, ein Jude und ein Muslim.“

Claudio Vilardo (links) und Edgar M. Böhlke im Dialog über den Text

Die Besetzung dieser Lesung erwies sich als Glücksfall. Edgar Böhlke verfügt nicht nur über Jahrzehnte Schauspielerfahrung du Zusammenarbeit mit großen Regisseuren. Er stellt literarische Texte mit eben solcher Intensität dar wie seinen Part in diesem Dialog zu aktueller politischer Lage. Vilardo ist Schauspieler, Dramaturg, Regisseur und entwickelt zusammen mit Ruth Klapperich in ihrem THEATEReMOTION themenbezogene Theaterstücke für Schulen, etwa zum Mobbing-Problem, aber auch literarisch-musikalische Programme.

Klarinettist Markus Rölz

Auch Markus Rölz arbeitet unter anderem im THEATEReMOTION mit. Er ist nach Musikstudium und Konzertexamen als Musikpädagoge und mit Aufträgen in unterschiedlichen musikalischen Genres tätig. Hier war er mehrfach zwischen Dialog-Abschnitten mit jiddischen Melodien zu hören. Der weiche Kang der B-Klarinette in melodischer Balance zwischen Beschwingtheit, Melancholie und Trauer fügte sich stimmig ein, steigerte sich in der abschließend gespielten “Jewish Suite“ von Michaele Mangani. Waren die hellen, fast schrillen Obertöne der Klarinette Vitalität – oder Verzweiflung?  

Böhlke und Vilardo

Böhlke und Vilardo haben den Buchinhalt geschickt gestrafft, ohne die unterschiedlichen Positionen zu harmonisieren. Dennoch hatte der Dialog nichts Fragmentarisches, war keine Kürzel-Collage. Beide Sprecher gaben ihrer Rolle Individualität: Vilardo als der Temperamentvolle, Böhlke als der Bedächtige mit einem Hauch jüdischen Humors, vielleicht auch Sarkasmus. Berührend war, wie sie bei Kontroversen versuchten, den Standpunkt des anderen nachzuvollziehen, den freundschaftlichen Dialog nicht abzureißen zu lassen. Im Vorwort ist die Rede davon, „bei all den Differenzen nie das Vertrauen in den anderen zu verlieren“.

Der Dialog der beiden Sprecher ist noch beklemmender als die reine Lektüre des Buches.  Es ist zu respektieren, wie hellsichtig auch Sznaider schon am Anfang des Dialogs die „Logik“ der Checkpoints durchschaut, sie als „Laboratorien zur Erzeugung von Aggression mit den geringstmöglichen Mitteln“ bezeichnet, nach einem Selbstmordattentat von der „Absicht, sich gegenseitig zu dehumanisieren“ spricht. Kermani erkennt und benennt klar, dass auch die Selbstmordattentate der palästinensischen Seite längst nicht nur spontane Verzweiflungstaten, sondern strategisches Kalkül sind. So endete der Dialog mit dem gemeinsam gesprochenen, fast aswegslosen „Wie kommen wir da raus, Freunde und Nachbarn im selben System?“

Jutta Kneißel mit den drei Künstlern am Eingang des Heimatmuseums

Veröffentlicht im Kreis-Anzeiger für Vogelsberg und Wetterau am 15.4.25

Text Elfriede Maresch

Fotos Maresch und Drinkuth