Ars Moriendi – Die Kunst des heilsamen Sterbens (1.12.2024)

Auf eine Zeitreise mit ganz unterschiedlichen Entdeckungen nahm die Künstlerin Tanja Leonhardt Teilnehmende eines Workshops und einer Ausstellung mit. Sie lernten eine seltene Zwischenform des Buchdrucks kennen. Zugleich konnten sie mit der Bild- und Textfolge „Ars moriendi – Die Kunst des heilsamen Sterbens“ eintauchen in die Vorstellungwelt der Menschen des 15. Jahrhunderts. Eingeladen ins Heimatmuseum hatte der Vogelsberger Kultur- und Geschichtsverein, gefördert wurde die Veranstaltung durch „Landkulturperlen“ aus dem Kultusministerium Hessen.

Tanja Leonhardt

Blockbücher wurden noch nicht mit beweglichen Lettern hergestellt, sondern jeweils eine ganze Seite wurde spiegelverkehrt auf einen Holzstock eingeschnitten und auf Pergament gedruckt. Diese Technik gab es schon früh im asiatischen Raum, in Europa dann im 15. Jahrhundert. So entstanden Textabschnitte und Bilder – eine schnelle und preiswerte Art der Herstellung im Vergleich zu den noch handgeschriebenen Büchern der Epoche. Allerdings nimmt man an, dass die Druckstöcke spätestens nach der Herstellung von 200 Exemplaren unbrauchbar waren. Der Durchbruch zur rationellen Buchherstellung kam um 1450 mit Johannes Gutenbergs Entwicklung des Buchdrucks.

Sozusagen in eine kleine „Blockbuch-Werkstatt“ führte Tanja Leonhardt die Workshop-Teilnehmenden. Allerdings nahmen sie das leichter zu bearbeitende Linoleum als Material und erprobten das seitenverkehrte Einritzen von Textzeilen und einfachen Zeichnungen – keine einfache Aufgabe, die Respekt für das Können von Menschen früherer Jahrhunderte weckte! Tanja Leonhardt konnte aber auf eine interessante Erfahrung zurückgreifen. Sie hat freie Kunst mit dem Schwerpunkt Schrift studiert, hat mit namhaften Institutionen wie dem Klingspor-Museum Offenbach und dem Institut für Buchwissenschaft der Universität Mainz zusammengearbeitet. Sie betreibt ein Atelier für angewandte und freie Schriftkunst und lebt in Eichelsachsen. Beim Abschluss in Schotten zeigte sie das Video eines Arbeitsprozesses, den sie 2004 aufgenommen hatte. Mit Studentinnen des Mainzer Instituts für Buchwissenschaft hatte sie versucht, ein Blockbuch von 1470 faksimilierend nachzuschöpfen.

Es ging um ein besonderes Buch mit abenteuerlicher Vorgeschichte. Einige Jahre zuvor hat ein Mitarbeiter der Bibliothek des Hauses Fürstenberg in Donaueschingen einen historischen Folianten aus dem Regal genommen. Dabei waren gefaltete und geheftete Pergamentseiten herausgefallen. Es war eine „Broschüre“ des Spätmittelalters, mit Texten und Holzschnitten zum Thema des Sterbens mit der himmliscen Erlösung am Ende. Weitere Besonderheit: diese hatten deutschen Text, andere erhalten gebliebene sind lateinisch. Der Donaueschinger Fund war wertvoll, für eine Million Euro wurden die Blätter an das Mainzer Gutenberg-Museum verkauft. Im begehbaren Tresorraum neben den Gutenberg-Bibeln sind sie dort zu sehen. Weltweit ist nur noch ein zweites Exemplar in den USA erhalten.  

Keine Lektüre für Morbide, sondern Seelsorge von damals: der Tod war in der Gesellschaft des 15. Jahrhunderts, der Zeit der großen Pestepidemien, Gewaltkonflikte, Naturkatastrophen, viel näher als heute, wo eher versteckt in Kliniken und Pflegeheimen gestorben wird. Offiziell in Predigten und Erbauungsschriften, aber auch subversiv, sozusagen an der Amtskirche vorbei wie in dieser Ars Moriendi-Ausgabe, wurden die letzten Lebensstunden thematisiert. Den vielen Leseunkundigen von damals halfen die Bilder. Im Video war zu beobachten, wie nicht nur die handwerkliche Herstellung die Studentinnen faszinierte, sondern auch das Eintauchen in die Mentalität der Menschen von damals. Die Bilder sind Comic-artig und dramatisch: der Sterbende liegt im Bett, Teufel umringen ihn, versuchen, ihn in Abgründe der Verstocktheit, Verzweiflung, Auflehnung zu ziehen und damit zu ihrer Höllenbeute zu machen. Aber da sind auch die Engel, Heiligen und Märtyrer, die ihn im Guten stärken. Versuchung und Überwindung, etwa Demut contra Stolz, Klammern an irdischen Besitz contra Mahnung vor Habsucht stehen einander gegenüber. Auf dem letzten Bild wird die Seele wie ein kleines nacktes Kind von Engeln aus dem Sterbenden entbunden.

Tanja Leonhardt schloss mit nachdenklichen Hinweisen auf moderne Art der Sterbebegleitung, auf Autorinnen wie Elisabeth Kübler-Ross oder Verena Kast. Leonhardt und dem Kulturverein ist ein faszinierendes Projekt zu danken.

Text: Kreis Anzeiger 6.12.2024