Eine Frau der Reformationszeit war Thema eines erzählerisch-musikalischen Porträts: Anna von Hessen (1484 – 1525). Ins Heimatmuseum dazu eingeladen hatte der Vogelsberger Kultur- und Geschichtsverein und die Familienzimmer des Staatsrats Weber boten dafür einen stimmungsvollen Rahmen. Die Vorsitzende Dr. Jutta Kneißel konnte die Autorin Anja Zimmer (Lich) und das Duo Erika Drogi-Haas (Gesang) und Frank Glabian (Gesang, Laute, Trommel) begrüßen.

Sie sind keine Unbekannten in Schotten, waren mit der selben Besetzung schon 2023 beim Kulturverein zu Gast. Zimmers Roman aus den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstagen 1945 „Hoffnung aus Papier“ war damals Thema, ein Zeitporträt in Briefen aus der Kriegsgefangenschaft. Jetzt kamen die drei in Kleidung, die der Reformationszeit angenähert war. Glabian und Drogi-Haas stimmten mit einem alten französischen Liebeslied auf das Thema ein. Sie haben verschiedene historisch-musikalische Programme entwickelt, auch mit Anja Zimmer zusammen. So etwa über Louise Otto-Peters, eine der Vorkämpferinnen für Arbeiter- und Frauenrechte im 19. Jahrhundert.
„Mitternachtsblüten. Das Leben der Anna von Hessen“ heißt Anja Zimmers Roman. Die Autorin nimmt sich die Freiheit, Recherchiertes unterhaltsam auszuschmücken und das nicht aus Quellen Erschließbare mit eigener Fantasie zu füllen. Die Autorin hat nach einer kaufmännischen Ausbildung Germanistik und Theologie studiert und mehrere historische Romane, aber auch Kinderbücher veröffentlicht.

Im Jahr 1500 ist Anna noch ein junges Mädchen, Tochter des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin, und eher irritiert, dass sie so weit weg verheiratet werden soll. Denn der hessische Landgraf Wilhelm II. hat seinen Freund Ludwig von Boyneburg als Brautwerber geschickt. Die erste Frau Wilhelms ist gestorben. Es besteht eine Erbverbrüderung mit Sachsen, Wilhelm braucht schnellstens einen eigenen Erben: „…sonst lecken sich die Wettiner (die sächsische Herrscherfamilie) das Maul!“
Und immer wieder erklangen zwischen den gelesenen Abschnitten anmutige historische Lieder, von Drogi-Haas und Glabian gesungen, der auf der Laute begleitete: das mittelhochdeutsche „Kumm, kumm Geselle min“, „Kleins wildes Vögelein“ und andere mehr.

Romanhaft schildert Zimmer Annas weitere Lebensstationen: Da ist die lebenslustige junge Frau mit dem fast doppelt so alten Mann, die sich Konventionen widersetzt, lieber einen milderen Beichtvater als den strengen Schlosskaplan will und bald als „Frau Venus“ bezeichnet wird – eher abfällig als bewundernd. Da ist die junge Mutter, die um ihre Position, ihre Kinder kämpfen muss. Denn ihr Mann hat sich mit Syphilis angesteckt, ist bald ein körperliches und geistiges Wrack. Die Räte, vor allem Boyneburg, gewinnen an Macht. Selbst den Zugang zum Krankenzimmer und eine gute pflegerische Versorgung muss die junge Frau erkämpfen.
Mit dem Tod des Landgrafen wird Annas Position noch schwieriger.. Wohl hat Wilhelm seine Frau im Testament als Regentin eingesetzt, aber die hessische Ritterschaft, angestiftet von Boyneburg, verweigert der 24-jährigen die Gefolgschaft. Die Kinder Elisabeth und Philipp werden ihr weggenommen und an Boyneburg, inzwischen Landhofmeister, zur Erziehung übergeben.
Endlich, 1514, schafft Anna eine Einigung mit den untereinander zerstrittenen Regenten und den Ständen. Sie kann die Kinder wieder zu sich nehmen, ihre Ausbildung leiten und erreicht gegen viel Widerstand den Platz an der Spitze der Regentschaft. 1519 wird ihr Sohn Philipp, der zuvor als 14-jähriger für volljährig erklärt wurde, ihr ein so genanntes Entlastungsschreiben erteilen. Er bestätigt seiner Mutter schriftlich, sie habe für ihn und seine Schwester wie auch für Land und Leute „mütterlich, freundlich, getreulich und fleißig“ gesorgt – ein ungewöhnliches Dokument.
„Wenn ich nur Dich habe“: mit einer schönen Monteverdi-Kantate ließen sich noch einmal Drogi-Haas und Glabian hören. Zimmer ging im letzten Leseabschnitt auf Annas späte Liebe ein: Graf Otto zu Solms. Sie heiratete ihn 1519 – er war 23 Jahre alt, sie 34. Ihr Sohn der Landgraf, war wenig erbaut über den zweiten Frühling seiner Mutter, schon gar nicht mit einem deutlich Rangniederen. Es gab weitere Konfliktpunkte: Anna setzte sich für Klöster und den katholischen Glauben ein. Philipp neigte aus unterschiedlichen Gründen der Reformation zu, wurde zu einem ihrer wichtigsten politischen Förderer. Philipps Schwester Elisabeth vermittelte zwischen Mutter und Sohn. „Anna hat für das Land Hessen und für ihre Kinder gekämpft“ schloss Anja Zimmer.

Text Kreis Anzeiger (em) vom 27. Februar 2025